Das Verbundprojekt BayTreeNet verbindet Klimamodellierung, Dendroökologie und Bildungsforschung in einem bisher einzigartigen interdisziplinären Ansatz. Es untersucht die Reaktionen von Waldökosystemen auf die aktuelle Klimadynamik über den Freistaat Bayern hinweg. Ein Netzwerk von Baumstandorten wird so gestaltet, dass die Auswirkungen individueller Großwetterlagen (GWLs), die regionale Extremsituationen der Witterung zur Folge haben, auf das Wachstum und die Ökophysiologie von Hauptbaumarten für unterschiedliche Wuchsgebiete Bayerns erfasst werden. Diese Reaktionen werden anhand von Klimamodellszenarios für das Ende des 21. Jahrhunderts projiziert. Somit entsteht ein Monitoring-Netzwerk, das es erlaubt, die Reaktion von Wäldern auf Änderungen der Frequenz bestimmter GWLs zu quantifizieren und potenzielle Gefahren für die Vitalität betroffener Waldgebiete festzustellen. In jedem Untersuchungsgebiet wird ein Baum an einer für die interessierte Öffentlichkeit gut zugänglichen Stelle mit einer internetfähigen Übertragungseinheit ausgestattet, so dass die Baumreaktionen auf die lokalen Witterungsbedingungen in Echtzeit über das Internet abrufbar sind. Ein Netzwerk von Partnerschulen betreut diese „talking trees“ und übersetzt die Baumreaktionen auf die atmosphärischen Zirkulationsbedingungen in menschliche Sprachbotschaften. Die Entwicklung eines auf die „talking trees“ bezogenen Unterrichtskonzepts wird forschend begleitet. Mithilfe dieser technisch innovativen und motivierenden Instrumente wird Schülerinnen und Schülern und der Öffentlichkeit die räumliche Wirksamkeit konkreter Klimaereignisse auf bayerische Waldökosysteme verdeutlicht.
Das Teilprojekt hat zwei Schwerpunkte: Über ein Netzwerk von jeweils fünf über die Fläche des Freistaates verteilten Hochlagen- und Tieflagenstandorten werden physiologische, ökologisch-strukturelle, biochemische und zuwachskundliche Reaktionen wichtiger Waldbaumarten auf den Witterungsverlauf in Abhängigkeit von Großwetterlagen analysiert. Diese Indikatoren werden in einem neuen Modell integriert, das Aussagen über die Vitalität und den Stresszustand der Bäume erlaubt. Aus der dispersen räumlichen Lage und den verschiedenen Höhenstufen soll ein dendroökologisches Indikatornetzwerk für Bayern etabliert werden, das zur besseren Erklärung regionaler Zuwachsmuster und zur Einschätzung der Gefährdungspotentiale bei Extremwetterlagen für einzelne Waldgebiete bei konkreten Großwetterlagen dient.
Der zweite Schwerpunkt besteht in der Etablierung eines internet-basierten Netzwerkes von 10 „talking trees“, die jeweils nahe der Waldforschungsgebiete an Orten von öffentlichem Interesse stehen. Diese Bäume sind mit physiologischen Messinstrumenten versehen, die in Echtzeit die Beobachtung der Reaktion der Bäume auf klimatologische Einflussgrößen registrieren. Schülerinnen und Schüler von Partnerschulen übersetzen die Reaktionen „ihres“ talking trees auf die meteorologische Situation in die Alltagssprache und tragen somit zur Umweltbildung weiter Bevölkerungsteile bei.
Lokale klimatische Phänomene wie Gletscher, Seen oder Vegetationsmuster zeigen oft eine starke Abhängigkeit von den Eigenschaften des großräumigen Klimas. Im Alltag äußern sich diese Eigenschaften als Abfolge von sogenannten Großwetterlagen, also typische Verteilungen von Hoch- und Tiefdruckgebieten über Europa und den dazugehörigen Witterungserscheinungen. Teilprojekt „Klimadynamik“ wird die lokalen Ausprägungen der Großwetterlagen in Bayern über mehrere Jahrzehnte mithilfe eines Atmosphärenmodells feststellen, welches auf Hochleistungsrechnern („Supercomputern“) ausgeführt wird.
Komplementäre Schritte erlauben die Interpretation der Ergebnisse sowohl für die jüngere Vergangenheit (z.B. 1981-2010) als auch für die zu erwartenden Klimaverhältnisse im 21. Jahrhundert. Insbesondere die ökologisch wirksamen Elemente Temperatur und Niederschlag können dadurch auch im Kontext von Extremereignissen detailliert bewertet werden. Das Teilprojekt liefert somit die physikalische, meteorologische Grundlage für das Verständnis der Effekte von Großwetterlagen auf Bayerns Waldstandorte. Durch die Assoziation von Menschen mit Großwetterlagen, die etwa aus der täglichen Wettervorhersage entsteht, ergibt sich aber auch ein sehr guter Anknüpfpunkt für Bildungsfragen zu den Folgen des Klimawandels.
Im Zentrum dieses Forschungs- und Entwicklungsprojektes steht die bildungsbezogene Arbeit zu Zusammenhängen von Großwetterlagen und Waldökosystemen in Bayern im Kontext des Klimawandels. Dazu wird u.a. ein Unterrichtskonzept für Schülerinnen und Schüler in Bayern entwickelt und forschend begleitet, in dem die regional unterschiedlichen Auswirkungen von (durch den Klimawandel verändert auftretenden) Großwetterlagen auf Waldökosysteme im Zentrum stehen. Die begleitende Forschung beleuchtet die Wirkungen des Unterrichtskonzepts, u.a. hinsichtlich Veränderungen im Wissensbereich und bei Einstellungen der Schülerinnen und Schüler. Die Ergebnisse fließen wiederum in eine Überarbeitung des Konzeptes ein, so dass ein empirisch fundiertes und in der schulischen Praxis erprobtes Unterrichtskonzept unter dem Leitbild einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung erarbeitet wird. Es ermöglicht als übergeordnete Zielstellung einen Wissenstransfer in die Zivilgesellschaft über die in diesem Kontext besonders relevante Institution Schule. So kann eine große Gruppe von Entscheidungsträgern der Zukunft erreicht werden, die von den regionalen Folgen des Klimawandels in besonderem Maße betroffen sein werden, bei der jedoch bislang große Defizite insbesondere im Wissens- (Folgen des Klimawandels) und Einstellungsbereich (wenig eigene Bezüge zum Klimawandel) festzustellen sind.